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Die Weinbergschnecke (Helix pomatia)

 

Da werden Amors Pfeile noch wirklich verschossen!

Text und Bilder © Markus Schuerch

Die Weinbergschnecke ist mit einem Gehäusedurchmesser von 32-50 mm die grösste einheimische Landschnecke (1, 2). Kopf, Fuss und der Eingeweidesack, der von einer Kalkschale bedeckt wird, gehen ohne klare äussere Gliederung ineinander über. Der Kopf und Fuss können vollständig in das Gehäuse eingezogen werden. Bei Bedarf kann die Gehäuseöffnung auch mit einer Membran oder einem Kalkdeckel verschlossen werden. So können die Schnecken unwirtliche Zeiten mit längeren Trockenperioden oder den Winter überdauern. Die Schale besteht fast ausschliesslich aus Kalk. Nur eine dünne Schicht aus organischen Substanzen (< 2%) umgibt diese auf der Aussenseite. Schleim bietet zusätzlichen Schutz gegen Austrocknung und gegen Feinde. So können Weinbergschnecken auf Hacken von Drosseln mit Ausscheiden von grossen Mengen blasigen Schleims reagieren, der die Vögel vielfach davon abhält, die Schnecken zu verspeisen (1).

Weinbergschnecke (Helix pomatia)

Die Weinbergschnecken ernähren sich vorzugsweise von zarten, saftigen Pflanzen aber auch von Früchten, die sie mit ihrer Raspelzunge (Radula) zerkleinern können (1). Dass Weinbergschnecken Eier von Nacktschnecken fressen, konnte ich in der Fachliteratur nicht bestätigt finden.

Weinbergschnecken sind mit verschiedenen Sinnen ausgestattet, die ihnen helfen, erfolgreicher überleben zu können. So besitzen sie an den Enden der grossen Tentakel Linsenaugen, die von blossem Auge als kleine schwarze Punkte erkennbar sind. Die Augen bestehen aus Hornhaut, einer Linse, Netzhaut und Augennerv. Im Gegensatz zu den Wirbeltieraugen hat sich die Netzhaut nicht als Ausstülpung der Gehirnanlage, sondern als Ausstülpung der Haut entwickelt (1). Die Augen sollen in beschränktem Masse gegenständliches Sehen ermöglichen. Das soll sie zu einem Richtungssehen mit gerader Fortbewegung befähigen. Neben dem Lichtsinn der zwei Augen besitzen Weinbergschnecken zusätzlich einen Hautlichtsinn auf der gesamten sichtbaren Körperoberfläche. Tiere können so auf Schatten, also potentielle Feinde,  mit Zusammenziehen reagieren (1).

Weinbergschnecken haben einen gut entwickelten Tastsinn auf der aus dem Gehäuse ragenden Körperoberfläche, im Besonderen in der Kopfregion und an den Fussrändern. Zusätzlich verfügen sie über einen Geruchs- und einen Geschmackssinn (1).

Jeweils zwischen Mai und August zieht es die sonst einzeln lebenden Weinbergschnecken hin zu Artgenossen, um sich fortzupflanzen. Weinbergschnecken sind Zwitter, d.h. sie besitzen weibliche und männliche Geschlechtsorgane.

Das Paarungsverhalten kann in mindestens fünf Phasen gegliedert werden und kann mehrere Stunden dauern. In der ersten Phase, dem einleitenden Liebesspiel, verharren begattungsbereite Schnecken mit etwas erhobenem Vorderkörper suchend längere Zeit am gleichen Ort und kriechen danach wieder weiter. «Treffen zwei derartige Schnecken zusammen, betasten sie sich erst gegenseitig mit Tentakeln und Vorderkörper oder beginnen sofort mit dem Liebesspiel. Dazu stellen sie die beiden vorderen Drittel ihrer Kriechsohlen senkrecht gegeneinander.(1)»  Sie ziehen sich bald danach wieder etwas zusammen. Nicht lange danach geraten die Tiere wieder in Erregung und die zweite Phase mit dem Ausstossen des Liebespfeiles beginnt. Dabei übernimmt eine der beiden eine aktive Rolle und stösst der Partnerschnecke einen dünnen Kalkpfeil in die linke Flanke oder die Sohlenfläche. Das kann zu gefährlichen Verletzungen führen. Das Ausstossen eines Liebespfeiles kann durch einen oder beide Partner erfolgen, oder auch ausbleiben (1).

Helix pomatia Paarung 1.JPG

Paarung von Weinbergschnecken. Bild links: frühe, einleitende Phase. Bild rechts: Linke Weinbergschnecke hat PartnerIn einen Liebespfeil, ca. Fühlergrösse, links unterhalb der 3 dürren Grashalmen, abgeschickt. Bilder von 1972, sonniges Bord mit zahlreichen sich paarenden Weinbergschnecken in einem Brennesselfeld, Melchnau (BE), 

Liebespfeile kommen in 11 von 65 Lungenschneckenfamilien vor. Auch unsere Bänderschnecken (Cepaea, vgl. unten), die wir häufig in unseren Gärten antreffen können, besitzen solche. Es wird deshalb vermutet, dass die Liebespfeile für die Schnecken von Bedeutung sind.  So vermuten Adamo et al (1988), dass die partnerschaftliche Übereinstimmung bei der Paarung durch das Ausstossen von Liebespfeilen begünstigt wird.

Nach dem Ausstossen der Liebespfeile folgt eine Ruhephase, die in die dritte Phase, dem späteren Liebesspiel mit meist erfolglosen Begattungsversuchen überleitet. In der vierten Phase, der eigentlichen Begattung, stehen die Tiere mit aufeinander gepressten Fusssohlen gegeneinander mit kreuzweise verdrehten Vorderkörper. Die eigentliche Begattung dauert etwa vier bis sieben Minuten. Kilias (1) konnte bei hunderten beobachteten Begattungen nie eine gegenseitige Übertragung von Spermatophoren beobachten. Das bedeutet, dass die Eier bei einer Paarung bloss bei einer Schnecke befruchtet werden.

In der letzten Phase, dem Ende der Begattung, bleiben die beiden Partner noch eine Weile mit einander berührenden Fusssohlen zusammen (1).

Vier bis sechs Wochen danach erfolgt die Eiablage, meist im Juni und Juli. Zuvor gräbt die Schnecke einen etwa 4 – 5 cm Durchmesser grossen Hohlraum in 4 – 6 cm Tiefe. Darin werden 40 bis 60 etwa sechs Millimeter grosse Eier abgelegt. Für diese Aktivitäten benötigt die Schnecke 20 bis 30 Stunden oder sogar noch mehr. Schliesslich wird die Höhle wieder verschlossen. In dieser Höhle findet die Entwicklung der Eier bis zur Jungschnecke statt. Nach mindestens acht bis zehn Tagen verlassen die Jungschnecken, 3.5 – 4 mm hoch, die Höhle. Bis zum Winter können die Tiere eine Gehäusehöhe von bis zu 10 mm erreichen (1).

Weinbergschnecken sind nach zwei, meist aber erst nach drei Überwinterungen geschlechtsreif. Dann haben sie eine Gehäusegrösse von 30 – 40 mm erreicht. Im Freiland werden die Weinbergschnecken wahrscheinlich kaum älter als fünf Jahre (1).

Weinbergschnecken haben einen hohen Kalkbedarf. Deshalb sind Gebiete mit Kalkverwitterungsböden am geeignetsten. Das ursprüngliche Verbreitungsgebiet der Weinbergschnecken lag in Süd- und Südosteuropa (1). Sie wurden schon prähistorisch aus diesen Gebieten durch den Menschen weit nach Norden verbreitet. Sie wurden offenbar schon damals als Nahrung geschätzt.

Da Weinbergschnecken und ihre in unseren Gärten vorkommenden Verwandten wie die Hainbänderschnecken (Cepaea nemoralis und Cepaea hortensis) selten so häufig in unseren Gärten vorkommen wie Nacktschnecken, ist ihr Schadenspotential auch deutlich geringer.

Abbildung: Hainbänderschnecke Cepaea nemoralis.

In der Schweiz sind 204 Arten Landschnecken bekannt. Viermal mehr als Süsswasserschnecken (45 Arten). Daneben sind 32 Muschelarten bekannt, also insgesamt 281 Weichtierarten (3). Die Weinbergschnecke wird zusammen mit den in unseren Gärten verbreitet vorkommenden Hainbänderschnecke (Cepaea nemoralis, vlg Bild unten), der Gartenbänderschnecke (Cepaea hortensis) und weiteren Arten in die Familie Helicidae gestellt.

Literatur

  1. Kilias R (1985/Nachdruck 2014) Die Weinbergschnecke. Die neue Brehm Bücherei. VerlagsKGWolf. 116 pp.

  2. Bochud E (2019) Schneckenbestimmungsschlüssel Schweiz. URL: https://lepus.unine.ch/infofauna-key/moll 4Feb2023.

  3. Naturhistorisches Museum Bern (2023) Molluskenarten. URL: https://www.nmbe.ch/de/forschung-und-sammlung/schneckenchecken#:~:text=Ein%20ehrgeiziges%20Ziel%2C%20denn%20in,bekannt%2C%20also%20insgesamt%20281%20Molluskenarten. 4Feb2023.

  4. Nordsiek R (2022) Bänderschnecken. Webseite. URL http://www.weichtiere.at/Schnecken/land.html?/Schnecken/land/baender.html ; 22Jan2023.

  5. Adamo S et al (1988) Courtship and copulation in the terrestrial snail Helix aspersa. Can. J . Zool. 66: 1446-1453.

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